"Viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern!!!"

Donnerstag, 26. November 2020

Abschlussbericht

 

Abschlussbericht


Jolande Bär Brasilien 2018-2020


Seit August 2018 habe ich als Freiwillige bei der Associação Communitária Monte Azul in São Paulo gearbeitet. Also insgesamt fast 1 Jahr und 8 Monate.

Gelebt und gearbeitet habe ich in Horizonte Azul, am äußersten Zipfel der Metropole São Paulo. Dort ist der südlichste der drei Projektstandorte der Associação Comunitária Monte Azul. Zwischen gedrängt bebauten Hügeln ist ein freies Grundstück, wo die Kinder die so wertvolle Möglichkeit haben frei zu spielen, auf Bäume zu klettern und sich einfach einmal auszutoben. Im Kindergarten, der Waldorfschule, den Hortgruppen und auch in den Ausbildungsprogrammen können die Kinder und Jugendlichen aus dem Viertel viel Schönes lernen und erleben.


Meine Arbeit:

Ich war hauptsächlich für den Geigenunterricht an der Escola de Resiliência zuständig (Schule der Resilienz). Zu Beginn gab ich allen 25 Kindern der 2. Klasse 30 Minuten Einzelunterricht. Da mich aber auch Kinder aus anderen Klassen und vor allen Dingen Jugendliche aus den Hortgruppen fragten, ob sie auch Geigenunterricht bekommen könnten, fing ich an die Kinder der Schule in Zweierpaaren zu unterrichten und nahm so für jede freie Zeit, die ich hatte immer mehr neue Schüler dazu. Ich war so begeistert von allen meinen Schülern, ihrer Freude, ihrem Ehrgeiz und ihrer ganz eigenen Persönlichkeit. Das Unterrichten war nicht immer einfach. Jede Stunde war eine Herausforderung und besonders für die kleineren Kinder habe ich lange überlegt und ausprobiert, um Wege zu finden ihnen die Musik und das Geigespielen näher zu bringen. Zwischenzeitlich hatte ich bis zu 40 Schüler pro Woche. Das ist echt viel und nach einem Arbeitstag war ich immer sehr erschöpft, aber ergriffen von den vielen schönen kleinen Augenblicken des Unterrichts. Es ist eine sehr erfüllende Arbeit, diesen ganz direkten Kontakt und die Interaktion mit den Kindern und Jugendlichen zu haben, zu sehen was Erstaunliches in einer Unterrichtsstunde passieren kann und wie sie es dabei schaffen über sich hinauszuwachsen.

Die Gemeinschaft:

Ich hatte zwar hauptsächlich meine ganz eigene Arbeit aber konnte trotzdem einen guten Kontakt zu vielen anderen Mitarbeitenden von Horizonte Azul aufbauen, denn die Atmosphäre dort ist sehr offen und freundlich. Oft bin ich noch etwas länger geblieben, habe mit den Lehrer*innen und Erzieher*innen über die Kinder und den Unterricht geredet oder auch mal ein neues Lied geübt. Einmal die Woche gibt es in Horizonte eine Versammlung aller über 100 Mitarbeitenden, der Administration, der Rezeption, der pädagogischen Bereiche, der Freiwilligen und aller Menschen die in den Küchen kochen, das Gelände im Stand halten, putzen oder den Eingang beaufsichtigen. Zusammen wird gesungen, organisiert, über ein neues Thema diskutiert oder einmal im Jahr auch ein Theaterstück eingeübt. Jeder Arbeitsbereich hat dann auch noch eigene Versammlungen und Arbeitsgruppen, wo Detaillierteres besprochen und Neues gelernt werden kann. All dies macht Horizonte Azul zu einem unglaublich offenen, aktiven, ja pulsierenden Ort. Einem Ort der Menschen Wege und Möglichkeiten schenkt. Möglichkeiten sich weiter zu entwickeln, Gemeinschaft und Freiheit zu spüren. Mensch zu sein.

Zeitstrahl:

Als ich in Brasilien ankam, war ich doch sehr eingeschüchtert, von der Kraft und Energie der Menschen, dem Fakt die Sprache noch nicht zu verstehen und mich nicht richtig ausdrücken zu können. Die Kinder haben mich aber direkt mit hinein genommen und so bin ich schnell aufgetaut, habe immer mehr sprechen gelernt und bin in meine Aufgabe des Unterrichtens hineingewachsen. Mit der Zeit bin ich immer mehr aufgeblüht, habe mich hineintreiben lassen in das Leben und habe so unglaublich viel erleben dürfen, durch die Menschen, die mich einfach in ihr Alltagsleben mitgenommen haben. Ein Schlüsselmoment war für mich ich in den Ferien im Januar, wo ich von einer Familie mit aufs Land in den Nordosten genommen wurde. Dort und durch den ganz persönlichen Kontakt mit den Menschen hatte ich das Gefühl nun richtig anzukommen in Brasilien und als ich dann zurück nach São Paulo kam, hatte ich das Gefühl dort wirklich zu Hause zu sein. Immer gab es auch Schwierigkeiten und Hürden zu überwinden, aber ich habe Alles mit großer Begeisterung, Energie und Tatendrang angenommen. Hatte viele Ideen für neue Projekte und wollte diese auch umsetzten. Dafür kam mir ein sehr offener Raum entgegen und so fasste ich den Entschluss meinen Freiwilligendienst um ein zweites Jahr zu verlängern. Bei der Arbeit wurde ich immer sicherer und präziser vor Allen Dingen im Geigenunterricht, welcher mir sehr wichtig war und in dessen Vorbereitung ich viel Zeit gesteckt habe. Neben diesem habe ich auf der Arbeit viele unterschiedliche Tätigkeiten ausprobiert, das Mitarbeiten in der Kinderkrippe mit den ganz Kleinen und auch in den Hortgruppen war ich immer mehr dabei und habe ab dem zweiten Jahr neben meinem Geigenunterricht und dem Gartenprojekt in wechselnden Gruppen als Unterstützung der Erzieher*innen mitgearbeitet. Mittendrin im Lebensstrudel hatte ich in kleinen Momenten Sehnsucht nach Ruhe, tiefgründigeren Gesprächen, einfach dem Gefühl der Freiheit in Deutschland zu sein, aber ich habe sie meistens schnell wieder weg geschoben und tatsächlich konnte ich mir ein Leben ohne Brasilien ohne all den Trubel, die Nähe zu den Menschen und die Arbeit nicht mehr vorstellen. So habe ich mich immer weiter hinein gelebt, in das brasilianische Leben. Arbeit, Familien und Liebesleben und all dies ohne Pause, so habe ich gar nicht bewusst gemerkt, wie es anfing mir alles über den Kopf zu wachsen, bis ich tatsächlich so erschöpft fast vor dem Zusammenbrechen stand. Immer noch der Meinung ich könnte es schaffen, müsste mich nur mehr bemühen und anstrengen. Das waren schwere Momente des Versuches wieder Kraft zu schöpfen und doch noch Alles zu einem Abschluss bringen zu können, was ich auf der Arbeit begonnen hatte. Momente in denen ich mir eingestehen musste, dass ich alleine mit meinem Gartenprojekt nicht weiterkomme, überfordert bin, dass ich mich nicht ausgebildet fühle. Ersteinmal selber lernen muss, ganz für mich. Auch dass ich manchmal noch nicht die Kraft habe Gruppen zu führen und vor Allen Dingen nicht in Gebieten, in denen ich selber unsicher bin. So habe ich doch wieder hauptsächlich Geige unterrichtet als Einzelunterricht, etwas was gut und sicher klappt. Doch hatte ich das Gefühl, dass mir dabei langsam die Luft ausging. Nach Eineinhalb Jahren unterrichten war ich mir dann sicher, dass ich etwas Neues in meinem Leben brauchte, dass eigentlich nach all dem Ausatmen der Moment gekommen war wieder einzuatmen, Luft zu holen und Neues zu lernen. Deswegen haben wir zusammen die Entscheidung getroffen, dass ich ab dem neuen Jahr im Februar nicht mehr unterrichten, sondern nur noch praktisch im Garten mitarbeiten werde. Das ganz handfeste Tun, das draußen sein in der Natur und das Zusammenarbeiten mit dem Mitarbeitern des bio-dynamischen Gartens hat mir sehr gut getan. Aber durch den vorigen Stress und die kompliziertere Familiensituation in welche ich hinein gerutscht war, fühlte ich mich trotzdem häufig sehr erschöpft und nach dem Rückruf Ende März wurde mir klar das es tatsächlich Zeit für mich war, nach Deutschland zurück zu kommen. Dort angekommen, habe ich noch einige Monate gebraucht um auf zu atmen, mich zu ordnen, wiederzufinden, Kraft zu schöpfen, einen Abschluss zu finden und wirklich ein neues Kapitel anfangen zu können.



Sternenmomente:

Über die ganze Zeit verteilt gab es viele wunderbare Momente aber von 3 kleinen möchte ich kurz berichten.

Für die Jugendlichen die bei mir Geigenunterricht hatten, habe ich im Mai einen Ausflug in das Konzerthaus die Sala São Paulo organisiert, wo wir ein Konzert von einem Sinfonieorchester erleben konnten. Als wir dann nach langer Reise in dem Saal saßen, komplette Stille herrschte, das Orchester anfing gefühlvoll und impulsiv zu spielen, und ich die weit geöffneten Gesichter sah, kamen mir vor Berührung die Tränen. Mit den Erzieherinnen haben wir diesen Ausflug in weiteren Gruppenformationen dann noch zwei Mal wiederholt.

Ende Juni, vor den großen Winterferien, habe ich mit der 3. Klasse den Abschluss des Geigenunterrichtes vorbereitet. Wir haben ein Konzert für die Eltern organisiert und als es soweit war, war ich mindestens genauso aufgeregt wie die Kinder selber. Alle haben ein kleines eigenes Stück vorgespielt. Mit der Aufregung der Kinder, der Freude der Eltern und dem Wissen, gerade ein Jahr meiner Arbeit abzuschließen, war das ein starkes Gefühl.

Zur Weihnachtszeit in meinen zweiten Jahr haben wir mit den Mitarbeitenden ein Weihnachtstheater (das Christgeburtsspiel) einstudierten, was ich schon aus Deutschland kannte. Dieses Mal hatte ich große Lust eine Rolle zu spielen und übernahm so den João, einen Hirten. Das Einstudieren und schließlich die Aufführungen bei denen wir ein richtiges Fest auf der Bühne veranstalteten, haben mir unglaublich viel Spaß gemacht und es war für mich ein besonders schönes Gefühl wirklich mittendrin zu sein zwischen allen Mitarbeitenden von Horizonte Azul.



Zukunftsblick:

Seit September studiere ich Eurythmie an der Alanus Hochschule in Alfter. Nebenbei arbeite ich

für das Institut für soziale Dreigliederung Berlin, wo ich nun den Versand der Bücher des Verlages organisiere. So ist mein Leben doch schon wieder dicht bestückt und ausgefüllt mit unterschiedlichen Tätigkeiten.

Das Studium gefällt mir sehr gut und ich bin unglaublich dankbar die Möglichkeit zu

haben mich so intensiv mit den Themen Bewegung, Tanz, Körper, Sprache und vielem mehr

beschäftigen und all dies im Praktischen erleben zu können.

Nach den letzten 2 Jahren in denen ich doch hauptsächlich im „Außen“ gelebt habe ist es für

mich ein großes Geschenkt jetzt intensiver nach „Innen“ zu blicken. Spüren zu lernen und die

Zeit und Möglichkeit zu haben neue Fähigkeiten auszubilden.









                                    Mitarbeitende, Kinder und Freiwillige nach dem Unterricht


                                            Adventsspirale von uns Freiwilligen organisiert



Mit der 3. Klasse



 
                                                        Ausflug in die Sala São Paulo




Festa Junina


Im Garten mit der 3. Klasse